Meine Eierhäuschen-Idee von 2010:
Warum ich diese Nacht in Berlin nie vergessen werde
Im Herzen von Berlin schlummert ein Geheimnis, das laut Hotel-Website nur die Mutigsten zu entdecken wagen:
“Erzählungen aus vergangenen Zeiten berichten von zwei Besuchern des Spreeparks, die zusammen in die damalige Achterbahn stiegen. Doch nach der letzten Kurve seien sie spurlos verschwunden gewesen. Sie hinterließen nicht einmal ein Echo ihres Lachens oder Schreie. Der Wagen kam leer zurück und niemand hatte eine Erklärung dafür. Im Dunkel der Nacht murmeln die Alten, dass diese verlorenen Seelen immer noch im Park ihr Unwesen treiben.”
Das „Eierhäuschen“ im Plänterwald, einst eine verwaiste Ruine, die wegen ihrer düsteren Geschichte gemieden wurde, ist jetzt notdürftig in ein Hotel verwandelt worden. Um den Verfall aufzuhalten und neugierige Touristen wie uns anzulocken.
Mit der Buchungsbestätigung auf dem Handy fuhren wir mit der S-Bahn Richtung Treptower Park. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich, in eine vergangene Epoche versetzt, von einer knarrenden Pferdekutsche am Bahnhof empfangen wurde. Der schweigsame Kutscher, dessen Silhouette im Licht der untergehenden Sonne kaum erkennbar war, lenkte uns an einer nostalgischen Eisenbahn vorbei, tief in den umliegenden Wald. Spaziergänger sah man nun keine mehr, es war wie eine Reise in eine andere Welt.
Als die Dunkelheit uns vollends verschluckte, tauchte das alte, beinahe zerfallene Gebäude vor mir auf. Der Kutscher half uns beim Ausladen des Koffers und verschwand dann, ohne ein Wort zu sagen. Die Eingangstür quietschte klagend, und dahinter stand eine betagte Dame, die uns mit einem Nicken begrüßte und uns mit einem abwesenden Blick den Schlüssel zu unserem Zimmer reichte. Das Ambiente war von altertümlicher Eleganz. Authentischer hätte diese Zeitreise kaum sein können. Wir gingen eine knarrende Treppe hinauf in den ersten Stock. Es roch nach Kerzenwachs und etwas modrig. Unsere Zimmernummer war kaum zu lesen, aber der Schlüssel passte. Die Holztür war erstaunlich leicht, das Licht war spärlich. Für den Preis hätten wir ohne Zweifel auch ein modernes Zimmer in der Innenstadt erhalten können. Aber darum ging es hier nicht.
Trotz des verzauberten Ambientes blieb ein Gedanke in meinem Kopf: Hatten sie hier, inmitten dieser alten Holzbalken und knisternden Flammen, wirklich nicht an den Brandschutzmaßnahmen gespart? Nicht nur einmal war dieses ehrwürdige Gemäuer wohl schon ein Raub der Flammen geworden.
Wir machten uns im maroden Bad frisch, immerhin gab es warmes Wasser und wir zogen uns um. Für den Restaurantbesuch war eine bestimmte Kleiderordnung vorgesehen, um allen Gästen ein authentisches Ambiente zu präsentieren. Mit einem Smoking und einem langen schwarzen Abendkleid kamen wir uns etwas verkleidet vor, aber wagten uns dennoch voller Vorfreude hinab in den Anbau des Erdgeschosses.
Im Restaurant war die Atmosphäre elektrisch, mit flackernden Kerzen und den melodischen Klängen einer Geige, die durch das Kaminzimmer hallten. Auch die anderen Gäste hatten sich mit ihren Outfits Mühe gegeben und bemühten sich, unaufgeregt zu gucken.
Ein plötzlicher Regenschauer trommelte unerwartet gegen die Fenster, wodurch die Atmosphäre noch aufgeladener wurde. Vermutlich war das eine weitere Inszenierung, die aber noch ausgefeilter hätte sein dürfen.
Das Personal hier war äußerst zuvorkommend und auch hervorragend zurechtgemacht. Es gab ein köstliches 4-Gänge-Menü, viel Wein und ein Klavierspieler wusste einen düsteren Spannungsbogen zu ziehen.
Nach dem Dessert wurde die Geschichte von dem verschwundenen Wagon verlesen und es folgten allerlei angedeutete Schauergeschichten. Nach und nach zogen sich die Gäste auf ihre Zimmer zurück.
Auch wir gingen nach oben. Uns stockte der Atem als ein Mann aus einem der vielen Zimmer trat. Er hatte ein langes, “blutgetränktes” Messer in der Hand, das er hastig versteckte, als sich unsere Blicke kreuzten. Dieser Blick, kalt und undurchdringlich, schien eine stumme Warnung zu sein, die mir einen Schauder über den Rücken jagte. Der Fremde verschwand wieder und wir gingen weiter, als wäre nichts gewesen. Der Vertrag, den wir unterschrieben hatten, warnte vor der Eigenverantwortlichkeit des Aufenthalts.
Im Zimmer mussten wir erstmal lachen, doch die Leichtigkeit verschwand, als wir uns zur Ruhe legten. Mein Begleiter war zu schnell eingeschlafen, die leise und schräge Violinenklänge aus dem Schrank bekam er nicht mehr mit. Mir lief der kalte Schweiß von der Stirn, als es unter dem Bett zu kratzen begann. Ich wagte kaum, mich zu bewegen. Schließlich boxte ich neben mich, um diese Furcht nicht alleine ertragen zu müssen. Obwohl es das Erlebnis war, wofür wir bezahlt hatten, brachte es mir Angst und Schrecken. Mein Freund fragte mich, was los sei. Er wollte das Licht anknipsen, aber es funktionierte nicht mehr.
Wir hörten, wie in unserem Zimmer, nur ein paar Meter von unserem Bett entfernt, langsam ein Stuhl verschoben wurde. Nun wurde auch ihm mulmig. Er leuchtete mit seinem Handy. Das Zimmer sah aus wie vorher, auch unter dem Bett konnten wir nichts erkennen. Wir rätselten, wie diese Geräusche wohl entstanden waren. Beim Einschlafen versuchte ich, an belanglose Dinge zu denken, ich erahnte schon die Morgenröte, doch irgendwann war ich eingeschlafen. Am nächsten Tag war der Spuk vorbei und wir waren um eine phänomenale Erfahrung reicher. Mit anderen Gästen teilten wir unsere Erfahrungen im Frühstückssaal. Ein älteres Paar hatte gruselige Schatten an ihrer Wand gesehen und ein aufgekratzter Fan der Goth-Szene berichtete begeistert von flackernden Lichtern und Schreien. Seine Bewerbung als Schauspieler hat er soeben verschickt.