Die diesjährige Re:publica firmierte unter dem Motto „finding Europe“. Dass Grenzen zu öffnen und Solidarität zu zeigen sei, war die allgemein geteilte Meinung. Es wurde z. B. darüber geredet, dass man die Südeuropäer mit den Problemen der Geflüchteten nicht alleine lassen sollte. Passend zur Thematik daher an dieser Stelle mein Athen-Reisebericht vom März 2015, der als Vorbereitungsreise einer großen Europa-Exkursion diente:

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“Sprechen Sie Englisch!” war der Ratschlag eines Mitarbeiters der Deutschen Botschaft in Athen. Zu dem Zeitpunkt waren wir uns nicht sicher, ob das ernst gemeint war. In Zeiten der “Krise” ist der direkte, persönliche Austausch zwischen Griechen und Deutschen wichtiger denn je. Denn Politik und Medien haben in der Vergangenheit ein eher verkürztes, irreführendes und wechselseitig wenig verständnisvolles Bild vermittelt.

Wir als zehnköpfige Delegation der Bundesvereinigung Nachhaltigkeit haben uns gerade zur richtigen Zeit auf den Weg begeben, um uns vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Daneben wollten wir mit unterschiedlichen Akteuren über unser Thema Nachhaltigkeit sprechen.

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Dabei gibt es durchaus verschiedenen Interpretationen des Begriffs Nachhaltigkeit: So bedeutet dieser in der griechischen Übersetzung “Lebenserhaltung”, eine schöne und treffende Übersetzung, wie wir finden. Für uns beinhaltet Nachhaltigkeit nicht nur die Bereiche Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft, sondern umfasst zusätzlich die Partizipation aller Menschen.flugzeug-griechenland

Im Rahmen des  Bildungsprogramms “Leonardo da Vinci” wurde uns diese Unternehmer- und Ausbilderreise vom Europäischen Bildungsverbund ermöglicht.

Die Leiterin des Wirtschaftsdienstes und EU-Beauftragte der Deutschen Botschaft in Athen, Sigrid Sommer, gab uns einen aktuellen Überblick über die “humanitäre Krise” und die politische Situation. Seit Januar regiert die linke “Syriza” mit der rechten “ANEL”. Ihr entscheidender gemeinsamer Nenner ist die Ablehnung der Memorandumspolitik der Troika, bestehend aus Europäischer Zentralbank (EZB), Europätischer Kommission und des Internationalen Währungsfonds (IWF).

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In der Deutschen Botschaft AthenLaut Sommer sehen sich die Griechen durch die oktroyierte Sparpolitik nicht nur in ihrer Würde angegriffen. Merkel und Schäuble werden vor Ort nicht gerade als Sympathieträger gesehen und gelten vielen als personifizierte Projektionsfläche für Schuldzuweisung, Wut und Verbitterung. Die Griechen fragen sich, wo noch gespart werden soll. Wir waren überrascht über die hohen Preise für Lebensmittel – zumindest in den Supermärkten zahlt man deutlich mehr Geld als in Deutschland.

Die Wirtschaftsleistung sank von 2009-2011 um 20%. 2012 war dank Reformen eine kleine Erholung zu verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit stieg von 7,8% in 2008 auf 32% 2013. Besonders junge Menschen leiden darunter. Von den 11 Mio. Griechen leben 35% in Armut.

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Viele Menschen verließen sich früher auf eine Anstellung im öffentlichen Dienst, diese Option steht nur noch sehr selten offen. Verdienste sind auf allen Ebenen niedrig. Eine Mathematikerin erzählt uns, dass sie in ihrem Vollzeitjob als Kellnerin 580 Euro verdiene. Der Mindestlohn für unter 25-jährige liegt bei 490 Euro.

Die Solidarität in Familien und unter Freunden ist (gezwungenermaßen) hoch. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit werden sämtliche Sozialleistungen gestrichen.

Frau Sommer empfand das Thema “Nachhaltigkeit” zurzeit nicht als aktuell. Es gehe vielmehr um Existenzsicherung. Es gibt eine Start-Up-Szene, die jedoch noch nicht gut vernetzt sei. Neue Initiativen wie Orange Grove oder Endeavor wollen das ändern.

Nach wie vor ist der Tourismus das stärkste Zugpferd der griechischen Wirtschaft. Die Griechen werden auf unserer Reise nicht müde zu betonen, dass sich die Ablehnung nicht gegen die Deutschen an sich richtet, sondern die Solidarität auf politischer Ebene in Frage gestellt wird. Die Medien schüren auf beiden Seiten Misstrauen.

Christina Lliando, die Leiterin für Recht und Steuern bei der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer, hat am Flughafen Stuttgart bei der Einreise eine seltsame Prozedur der Befragung über sich ergehen lassen müssen. Normalerweise sind Fragen nach Aufenthaltsdauer etc. bei Einreisenden aus der EU nicht üblich. Sie empfand das „Verhör“ als Sinnbild für das griechisch-deutsche Verhältnis.

Frau Lliando wies auf das Projekt Sustainable Greece 2020 hin. Es soll ein Nachhaltigkeitskodex nach deutscher Vorlage entwickelt werden. Auch die duale Ausbildung ist von der deutschen inspiriert. Positiv sei auch anzumerken, dass deutsche Unternehmen, die in Griechenland ansässig sind, wie Allianz oder Bosch, trotz der Krise im Land bleiben.

Frau Liliando ging auch auf die aktuelle wirtschaftliche Lage ein. Viele junge gut ausgebildete Leute verlassen das Land, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Andere gingen wieder in ländliche Gebiete zurück, um z. B. selbst Gemüse anzubauen und bei ihren Familien zu leben. In den letzten Jahren vor der Krise wurden an Privatverbraucher viele Kredite für Konsumgüter vergeben. Das City-Center hat an Einwohnern verloren. Viele Gebäude stehen leer. Für Unternehmen sei es auch aufgrund von stets veränderter Steuergesetzgebung schwierig, Investitionen zu tätigen und verlässlich zu planen.

Wir stellten unser Projekt “Arche Metropolis” vor, welches von Tarik Mustafa und Martin Wittau ins Leben gerufen wurde und mit einem Projekt auf dem Tempelhofer Feld seinen Anfang nahm.

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Ab 2019 wollen wir mit einem Segelschiff europäische Städte bereisen. In jeweils einer Woche an 33 Stationen sollen z. B. Schüler Vorträge zum Thema Nachhaltigkeit halten. Künstler hören sich diese an und transformieren das Gesagte in Kunst, wie z. B. Performance oder Skulptur. Dann findet eine kreative zweitägige Stadtralley statt, bei der vielfältige Aufgaben gelöst werden müssen. Dabei werden wir jeweils von Partnern unterstützt, z. B. von nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen. Abschließend findet ein Kulturfest statt. Während der Aufenthaltswoche der Arche Metropolis werden Veranstaltungsorte eingeladen, Kooperationsprojekte speziell zum Thema Nachhaltigkeit durchzuführen.

Unser Treffen mit den Kuratoren und Direktoren der Biennale Athen kam zustande, da sie bei ihrem kommenden Ausstellungszyklus auch das Thema Nachhaltigkeit verfolgen. Es kam die interessante Frage auf, worin das eigentliche Ziel unserer zukünftigen Segel-Expedition besteht. Steht die Reise oder Suche an sich im Vordergrund, geht es um das Verbinden von Menschen und Projekten oder geht es darum, eine nachhaltige Welt zu schaffen?biennale-meeting

Xenia Kalpatsoglou und Poka Yio luden uns ein, an einem Workshop teilzunehmen, bei dem es um die Transformation der Biennale als solche ging. Die Synergien gestalteten sich als derart fruchtbar, dass sich zwei unserer Mitreisenden entschlossen habbiennaleen, für ein Jahr in Athen an dem Projekt mitzuarbeiten. Auch die Documenta, mit der die Biennale Athen zusammen arbeitet, wird nächstes Mal zu einem Teil in Kassel und zum anderen Teil in Griechenland stattfinden. “Learning from Athens” ist das Motto.

Wir wurden auch von Georges Perot, dem nationalen Koordinator des European Music Days Greece, ins Boot geholt: Wir unterstützen am 21. Juni die EURICCA Initiative in Athen und geben einen Workshop zum Thema Nachhaltigkeit.

Im Goethe Institut trafen wir Leiter Dr. Matthias Makowski, der für die Region Süd-Ost Europa zuständig ist. In den Medien wurde kürzlich häufig über Enteignung von deutschen Immobilien und Grundstücken in Griechenland im Zusammenhang mit den von Griechenland geforderten Reparationszahlungen gesprochen. Auch das Goethe Institut scheint bedroht, jedoch setzen sich die ansässigen Griechen für den Verbleib in deutscher Hand ein. Insbesondere setzt sich das Goethe Institut für interkulturellen Austausch ein. Ein Projekt ist z. B. das Cultural Innovators Network.

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Auch das Thema Flüchtlingspolitik lag Herrn Dr. Makowski am Herzen. Während in Deutschland darüber diskutiert wird, ob eine Stadt 40 weitere Flüchtlinge aufnehmen kann, so befinden sich in Griechenland 1,8 Millionen Geflüchtete. Die Südeuropäischen Länder wünschten sich mehr Solidarität innerhalb Europas und möchten in diesen Aufgaben nicht alleine gelassen werden.

andreas-bachmann-zeichnungEin weiterer spannender Termin fand in der “Athens Development and Destination Management Agency” statt. Diese hat die Aufgabe, den innerstäditschen Bereich zu gestalten. Es finden z. B. strukturelle Verbesserungen statt. Die Onassis Stiftung hat das Rethink Athens Project unterstützt, bei dem es um die Verbesserung von Umwelt- und sozialen Fragen im innerstädtischen Bereich ging.

 

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Seit zehn Jahren hat die Innenstadt 14% an Einwohnern verloren. Viele Gebäude stehen leer, da die Eigenturmsverhältnisse innerhalb der Familien ungeklärt sind. Historische Gebäude sind auch sehr teuer zu renovieren und es gibt derzeit keine finanziellen Hilfen dafür.

Eine Idee ist, verfallene Gebäude temporär zwangszuverstaatlichen, um sie zu renovieren und die Kosten dafür durch Vermietung wieder einzunehmen. Nach zehn Jahren sollen sie dann den eigentlichen Eigentümern wieder übertragen werden.

Etwa 80% der Griechen leben in selbstgenutztem Wohneigentum. Seit 2012 ist darauf eine Steuer zu entrichten. Oft wird beklagt, dass daraus die Armut resultiert, laut Papachristopoulos ist dies jedoch eher nicht der Fall. Für eine kleine Wohnung fallen etwa 500 Euro Steuern jährlich an.

Viele EU Fördergelder scheinen in fragwürdige Projekte versunken zu sein.

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Ein weiterer Besuch war bei der Rosa-Luxemburg Stiftung. Frau Tousuro erzählte uns, dass ihr Gefühl ist, das das Thema Nachhaltigkeit auch aus Not angenommen wird.

Es gibt z. B. eine Zeitbank, bei der man sich für Dienstleistungstausch registrieren kann.

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Wir sprachen mit ihr über die Probleme der Migranten. 90% verließen ihrer Meinung nach aus wirtschaftlicher Not ihre Heimat, 10% seien Flüchtlinge.

In Griechenland seien 35.000 Geflüchtete in Lagern eingesperrt. Die südlichen Länder dürften mit der Aufnahme nicht alleine gelassen werden.

Es gäbe 20 Hungerstreikende, die einen Radiosender besetzt hätten und gegen die Abschaffung des “Terrorparagraphen” protestierten.

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Neben den Terminen hatten wir Gelegenheit, Kulturevents und Sehenswürdigkeiten zu besuchen, z. B. gibt es ein besetztes Theater, in dem täglich kostenfreie Vorstellungen stattfinden. Hier ein Teil unserer netten Crew und einige Eindrücke:

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